Dominanz,
der missbrauchte Begriff in der Pferdeausbildung!

Hengste beim Kämpfen, Imponieren?

Dominanz: Keine andere Theorie in der Pferdeausbildung von heute ist derart für Missbrauch und Unverständnis verantwortlich und wurde noch dazu durch populistische Dogmata so verstümmelt, wie die der Dominanz. Häufig beruft man sich dabei auf das Alpha- / Dominanz-Modell, welches auf Kurzzeitstudien an Wolfsrudeln in den 40er Jahren beruht. Die Theorie behauptet, es gäbe in jedem tierischen Sozialverband einen "Tyrannen" – eben dieses berühmt-berüchtigte "Alpha-Tier", auf welches eine absteigende Hierarchie bis zum rangniedrigsten „Omega-Tier“ folgt. Wird diese vereinfachte Vorstellung im Pferdetraining angewandt, übernimmt der Ausbilder die Rolle des Alpha-Individuums. In Folge der Theorie versuchten nun alle rangniedrigeren Individuuen eine Anpassung durch Befolgung der "tyrannischen" Anweisungen zu erreichen.

Sobald versucht wird dieses Raubtier-Modell auf eine Spezies zu übertragen, deren soziale Strategien nicht diesem Tyrannenregime folgen, wird fälschlicherweise Raubtierpsychologie auf Fluchttierpsychologie übertragen

Gruppenverband auf der Wanderschaft

Um dies zu verstehen ist ein kritischer Blick auf das Dominanzverhalten bei den in der freien Natur vorkommenden Pferdegesellschaften sinnvoll.

Die Familiengruppe weist eine klare Hierarchie auf, in welcher Hengst und Leitstute die beiden zentralen Tiere in einem ganz besonderen Sinn darstellen. Die Leitstute ist mit dem „General“ einer Gruppe vergleichbar. Ihr Platz ist in der Mitte der Gruppe, wo sie durch einen Wall von Stuten niederen Status geschützt wird. Als einziger Entscheidungsträger ist sie für die gesamte Herde das Gruppenmitglied mit der größten Bedeutung. Diese Stellung kann weder durch aggressives Verhalten, noch durch irgendwelche Tyrannei erreicht werden. Diese Position wird der Leitstute von der Herde angetragen. Sie hat somit den höchsten Rang unter allen weiblichen Gruppenmitgliedern und ist in vieler Hinsicht weit wichtiger für das Überleben der Herde als der Hengst. Tyrannische Dominanz gebenüber den anderen Stuten wäre dem, ihr freiwillig zugestandenen Status nur abträglich.
Die Rolle des Hengstes ist genauso zentral, aber von einer völlig anderen Art und Weise. Seine Aufgabe besteht darin der Gefahr entgegen zu treten: sobald eine äußere Bedrohung der Herde auftritt, verlässt der Hengst das Zentrum der Gruppe und begegnet der Gefahr mit deutlichen Zeichen, wie Muskelanspannung und erhabenen Gängen. Die Entscheidung zur Flucht der Herde trifft einzig die Leitstute. Daher besteht die Rolle des Hengstes in Rückendeckung und Schutz für der Nachzügler. Hierbei trifft es auch zu, dass er durchaus körperliche Gewalt gegenüber Herdenmitgliedern einsetzt. Dieses entwicklungsgeschichtlich progarmmierte Verhalten dient ausschließlich zum Schutz der Gruppe und keineswegs um seinen Rang über Dominanz zu erhalten.
Der Respekt, den junge Herdenmitglieder dem Hengst zollen, ist von Haus aus so groß, dass evtl. Disziplinarmaßnahmen nur höchst selten nötig werden. Jungtiere erkennen die Macht des Hengstes durch ein Verhalten an, dass als "Leerkauen" bekannt ist (schnelles Öffnen und Schließen des Maules). Mit gleichzeitig gestrecktem Hals und gesenktem Kopf signalisieren sie dem Hengst hiermit "Ehrerbietung".

Junggesellen werden auf Distanz gehalten.

Wenn für die Junghengste oder Jungstuten der Zeitpunkt kommt, ihre Geburtsherde zu verlassen, kann es vorkommen, dass der Hengst physische Dominanz über seinen Nachwuchs ausübt. Es wird dabei nicht lange "gefackelt" und die Tiere werden aus der Geburtsherde hinausgetrieben. Teilweise wird fabuliert, dies sei eine präventive Maßnahme um Wettbewerb zu verhindern. Was jedoch eine recht einseitige Betrachtung ist.
Der Grund für die "Vertreibung der Jungtiere" darf vielmehr in der Vermeidung von Inzucht, mit all seinen negativen Auswirkungen für die Nachkommen zu sehen sein.
Sobald die Junghengste gezwungen werden, ihre Herde zu verlassen, schließen sie sich einer Junggesellengruppe an. Jeder Neuling in dieser Gruppe ist Quelle größten Interesses und Aufregung: zwei der ranghöheren Junghengste nehmen ihn am ersten Tag fast ständig zwischen sich. Ganz so als ob sie für ihn einerseits Führer sein und gleichzeitig dem Rest der Gruppe seine Mitgliedschaft beweisen möchten. Als jüngstes Mitglied und damit geringste Herausforderung für den dominanten Hengst (Anführer) dieser Gruppe, bekommt er auch ein größeres Maß an Freiheit gewährt und kann körperliche Gewalt leicht durch „Kauen“ abwehren, ebenso wie andere rangniedrige Mitglieder der Junggesellengruppe dies tun. Falls der Neuankömmling den Status quo der Gruppe aber in Frage stellen und in der Rangfolge aufsteigen möchte, muss er durchaus physische Dominanz gegenüber denen behaupten, die er in der Rangfolge absetzen will. Gleichsam muss der ranghöchste Hengst dieser Gruppe jederzeit bereit sein, seine Vorherrschaft zu verteidigen. Dies geschieht aber meistens eher spielerisch als wirklich gewaltsam.
In der Junggesellengruppe existiert eine ganz klare Rangfolge und dennoch funktioniert auch diese Gruppe überwiegend nur durch Kooperation. Das Ziel der Gruppe ist es, das ranghöchste Mitglied dabei zu unterstützen, am Rande von Familiengruppen lebende Jungstuten zu überfallen und zu rauben. Sobald der „Alpha“ Hengst der Junggesellengruppe seinen eigenen Harem aufgebaut hat, verlässt er die Gruppe. Seine ehemalige Führungsrolle übernimmt nun der, in der Rangfolge nächste Junghengst.
Sollte das Alpha-Individuum also überhaupt mit einem Tyrann vergleichbar sein, so ist es dies allenfalls in einem zeitlich begrenzten Rahmen. Sobald der Hengst seine ersten Stuten erobert hat, versuchen die anderen Gruppenmitglieder nicht mehr mit ihm weiterhin in Verbindung zu bleiben.


gemischte Reitpferde-Gruppe

Werden Herdenverbände willkürlich aus Hauspferden zusammengewürfelt (Wallache und Stuten in beliebigen Kombinationen), kommt es sehr selten zum selben Integrationsgrad, wie es bei einer Wildpferde-Familiengruppe der Fall ist. Die Tiere in dieser "Zwangsgemeinschaften" haben oftmals eine schlecht voneinander abgegrenzte Rangfolge, was zu einem vermehrten Auftreten von kleinlichen Aggressionen führt. Rangniedrigere Pferde werden beispielsweise wiederholt herumgescheucht, selbst wenn sie keinerlei Herausforderung gegenüber höher stehenden Pferden darstellen. Ein derartiges Verhalten hat keinerlei natürlich nützliche Funktion und wird meist durch das Angebot / Vorhandensein von Futter, Wasser oder Platz ausgelöst. Stuten behaupten sich in solchen Gruppen mitunter sogar gerne körperlich dominant gegenüber Wallachen. Das fehlende Testosteron der Wallache und die schwächere Bemuskelung symbolisiert für die Stuten einen Mangel – sowohl im körperlichen, wie auch sexuellen Sinn.

Diese kurz umrissene Skizze der Beziehungen in verschiedenen Herdenverbänden zeigt, zu welchem Zweck natürliche Dominanz angewandt wird und ermöglicht uns einige grundlegende Schlüsse zu folgern:


Pferd im Kreisverkehr

Mit diesem Wissen erscheint das Dominanzverhalten von menschlichen Ausbildern oder Trainern in einem völlig anderen Licht. Speziell der Gebrauch von Round-Pens um das „Treiben“ zu arrangieren, hat – entgegen aller Behauptungen – somit keine Grundlage im natürlichen Verhalten des Pferdes.
Es gibt in der Natur keine Situation, in der es für das Pferd irgendeinen Sinn ergeben würde, einem Ausstoßungsverhalten ausgesetzt und gleichzeitig hierbei begrenzt zu werden, um die Flucht zu verhindern.
Zwangsläufig resultiert für das Pferd hieraus Verwirrung und Panik. Nach einiger Zeit – abhängig von der Willensstärke des jeweiliegen Tieres – wird sich das Pferd entweder einer erlernten Hilflosigkeit in Kombination mit einer psychischen Schädigung hingeben, oder aber es greift den Trainer eines Tages an.
Stellen Sie sich ein dominantes Pferd vor, das ein Rangniedrigeres in der Natur vor sich her treibt, verläuft der Fluchtweg bekanntlich geradlinig. Sollte das untergeordnete Pferd nun das sanfte Kauen zeigen, so wäre doch das dominante Pferd gar nicht in der Lage, dieses Verhalten überhaupt zu sehen !
Theoretisch kann nun gefolgert werden, dass ein Pferd, welches im Round-Pen das Leerkauen zeigt, über seine Körpersprache ausdrücken möchte: "Ich bin klein, bitte verletze mich nicht“. Interpretiert man in dieses Verhalten die Vorstellung, das Pferd würde dadurch unseren höheren Rang anerkennen, wird man keine haltbare Begründung finden können, zumal in der Natur dieses Kauen nur zwischen Pferden untereinander, niemals aber zwischen Pferd und Mensch zu beobachten ist.
Immer wieder wird behauptet, dass dem Pferd mit den verschiedenen Dominanz-Strategien klar gemacht wird, dass der Mensch das ranghöhere Pferd sei. Halten wir Pferde letztendlich für so dumm, dass sie möglicherweise einen Menschen für ein Pferd halten?


Wenn sie wirklich wollen, dass ihr Pferd sie akzeptiert, von ihnen lernt und ihnen vertraut, dann sollten sie sich wie die Leitstute verhalten, oder vielleicht auch wie der liebevolle, beschützende Hengst in der Familiengruppe. Sie signalisieren ihren hohen Status am besten durch:

(Quelle: Iwest; Andy Beck - Verhaltensforscher Neuseeland)